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Kommissionssitzung am 28./29. November 2019: Vom Vergessen der Frauen. Frauen in Erinnerungskulturen sozialer Demokratie

In der sechsten Sitzung der Kommission „Erinnerungskulturen der sozialen Demokratie“ ging es am 28. und 29. November 2019 um den Platz von Frauen in Erinnerungskulturen sozialer Demokratie. Will man die Rolle von Frauen in der Geschichte von Demokratie und Arbeiterbewegung angemessen repräsentieren, so das Ergebnis, müssen vorherrschende Meistererzählungen weichen.

Zu Beginn der Sitzung führten die drei Referent_innen kurz in die zentralen Thesen ihrer Papiere ein. Kirsten Heinsohn widmete sich dem „Erinnern und Vergessen in der deutschen Frauenbewegung“ und betonte, dass bei der Bearbeitung der Erinnerungsgeschichte der Frauenbewegung als neues Forschungsfeld die Heterogenität der Bewegung und damit die Heterogenität der Erinnerungskulturen in Rechnung gestellt werden müsse. Erinnerungen der Frauenbewegung ließen sich daher als Diskursgeschichte über Zugehörigkeit und Ausgrenzung untersuchen. Zudem plädierte sie dafür, Frauenbewegungen nicht per se als Teil der sozialen Demokratie zu betrachten, sondern Themen in den Blick zu nehmen, bei denen sich verschiedene Akteur_innen trafen. Neben der Idee der Gleichheit, politischen und sozialen Rechten nannte sie hier vor allem Care als Thema, das Frauen als politische Subjekte überhaupt erst sichtbar mache, und damit verbunden einen erweiterten Arbeitsbegriff.

Uwe Fuhrmann hatte für die Kommission das (Nicht-)Erinnern von Gewerkschafterinnen und ihres Handelns untersucht und machte deutlich, dass dies nicht mit dem Fehlen von Ereignissen, Prozessen und Personen, derer hätte erinnert werden können, erklärt werden kann. Vielmehr habe dies etwas mit der ideologischen Aufladung der Arbeitsverhältnisse im Fordismus zu tun, mit der eine klare Geschlechterordnung und das Nicht-Betrachten von Care als Teil der Arbeitsverhältnisse einhergegangen seien. Die Betriebsfokussierung der Gewerkschaften habe zudem den Fokus der Organisationen auf männliche Lohnarbeit verstärkt. Als Beispiel spezifisch weiblicher Arbeitskampfformen aus der Zeit des Kaiserreiches, an die erinnert werden könne, nannte Fuhrmann den ‚Arbeitsnachweis‘, mit dem der „Verein der Arbeiterinnen an Buch- und Steindruck-Schnellpressen“ ein Monopol über die Arbeitsvermittlung gewonnen habe, das die Gewerkschafterinnen in Auseinandersetzungen mit Arbeitgebern haben nutzen können.

Schließlich führte Hedwig Richter Überlegungen zu der Frage aus, warum Frauen in der Demokratiegeschichte kaum vorkämen, und begründete dies damit, dass diese männlich konzipiert sei. Da Demokratiegeschichte von Revolutions- und Kampfesnarrativen geprägt sei, gerate der weibliche Beitrag zur Demokratie, beispielsweise über Wohlfahrtsarbeit, nicht in den Blick. Zudem sei die deutsche Geschichtsschreibung noch stark von der Sonderwegthese geprägt, was die zahlreichen, auch weiblichen, Aufbrüche schon im Kaiserreich unsichtbar mache. Dies – und auch die Übernahme der Erzählungen Clara Zetkins in die Geschichtsschreibung – habe zur Ausblendung der Rolle bürgerlicher Frauen bei der Erkämpfung des Frauenwahlrechts geführt.

Eine anschließende angeregte Diskussion betonte die Vielfalt weiblicher Agency in der Demokratiegeschichte, von Beteiligung an oder Organisation von Streiks bis zur bewaffneten Teilnahme an revolutionären Kämpfen. Besonders hervorgehoben wurde, dass es – mit Ausnahme weniger geschichtswissenschaftlicher Forschungen – bis Anfang der 2000er-Jahre keine nennenswerte erinnerungskulturelle Würdigung der Rolle von Frauen in der Geschichte der Gewerkschaften und der Demokratie gegeben habe. Nachdrücklich wurde dafür plädiert, die Erforschung der Geschichte von Gewerkschafterinnen und ebenso der Geschlechterordnungen von Gewerkschaften intensiv voran zu treiben. Gefragt wurde dabei auch danach, welche Frauen- und Geschlechterbilder aus der DDR in gesamtdeutsche Gewerkschaften eingeflossen seien.

Einigkeit herrschte darüber, dass eine demokratische Erinnerungskultur plurale Narrative brauche. Eine Berücksichtigung weiblicher Perspektiven in gewerkschaftlichen Erinnerungskulturen, so wurde angemerkt, müsse jedoch vorherrschende Narrative in Frage stellen, da viele Erfolgserzählungen, wie die von Tarifautonomie und sozialer Marktwirtschaft, implizit männlich konzipiert seien und bei Berücksichtigung der Ausschlüsse von Frauen nicht in bekannter Form aufrechterhalten werden könnten. Zu einer solchen Erinnerung gehöre auch, die historische Gewordenheit der männlichen Prägung von Gewerkschaften und nicht nur die Bemühungen zur Inklusion von Frauen aufzuzeigen. Zwar könnte die Geschichte sozialer Demokratie weiterhin in Form von Fortschrittsgeschichten erzählt werden, doch gälte es, die Ausschlüsse, die erreichte Fortschritte mit sich brachten, einzubeziehen.

Ulf Teichmann

 

Weiterführende Links

Kirsten Heinsohn bei der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

Uwe Fuhrmann an der Universität Leipzig

Hedwig Richter an der Universität der Bundeswehr München

 

Zum Weiterlesen

Kirsten Heinsohn: "Grundsätzlich" gleichberechtigt. Die Weimarer Republik in frauenhistorischer Perspektive" (aus APuZ 18-20/2018)

Uwe Fuhrmann: Das streitbare Leben der Paula Thiede 1870–1919 (aus ver.di publik 2/2019)

Hedwig Richter: Demokratiegeschichte ohne Frauen? Ein Problemaufriss (aus APuZ 42/2018)

 

Arbeitspapiere zur Sitzung

Uwe Fuhrmann: Gewerkschafterinnen in der Erinnerungskultur der Gewerkschaften

Hedwig Richter: Warum finden Frauen in der Deomkratiegeschichte so wenig Beachtung?

Kirsten Heinsohn: Die eigene Geschichte erzählen. Erinnerungskulturen der deutschen Frauenbewegung

 

 

ZUM THEMA

Die Arbeiterbewegung hatte Geschlechterfragen im 19. Jahrhundert zunächst keine Bedeutung beigemessen. Erst die bürgerliche Frauenbewegung brachte das Thema der Gleichstellung der Geschlechter auf die Tagesordnung.

Wie werden in den Gewerkschaften die Geschichte der Frauenbewegung und der Kampf um die Gleichstellung erinnert, und wie das Verhältnis von bürgerlicher und sozialistischer Frauenbewegung? Welche Akteur_innen versuchten wann und zu welchem Zweck die Erinnerung an Frauenbewegungen und Frauen in den Gewerkschaften zu etablieren und welche Forderungen an die Gegenwart und Zukunft der Gewerkschaften waren damit verbunden? Und andersherum gefragt: Welche Rolle spielen Gewerkschaften und andere kollektive Akteure sozialer Demokratie in den vorherrschenden Erinnerungen an die Gleichstellung der Geschlechter und die Frauenbewegung?